Stationen der deutsch-türkischen Migration

Ein Video-Vortrag von Tunçay Kulaoğlu und Martina Priessner

Die deutsch-türkische Arbeitsmigration spiegelte sich ab den 70er Jahren in der Kinokunst beider Länder wider. Von Ausnahmen abgesehen wurden meist Geschichten erzählt, die in Deutschland das Bild des Ausländers und in der Türkei das Klischee des Almanci reproduzierten. Anfang der 90er Jahre beginnen die jungen deutsch-türkischen FilmemacherInnen diese Geschichten aus einer anderen Perspektive zu erzählen. Die Distanz, über die sie inzwischen verfügen, gibt ihnen eine Freiheit, neue Bildersprachen zu erfinden. Sie bringen mit ihren Erzählungen die stereotypen Bilder zum Tanzen, entwerfen Bilder für Migration abseits vom Opferdasein, oft geprägt von einer poetischen Sprache, einer Ästhetik, die fast ohne Worte auskommen und von eindringlicher Symbolik.

Mit ihrem Vortrag „Stationen der Deutsch-Türkischen Migration im Film“ spüren die beiden Filmemacher und Kuratoren Tunçay Kulaoglu und Martina Priessner verschiedenen Facetten dieser Entwicklung nach und zeigen, dass Motive von Aufbruch, Unterwegssein, Ankommen und Rückkehr eine wichtige Rolle spielen. Anhand zahlreicher Ausschnitte kommentieren sie Filmbilder der letzten 30 Jahre – eine historische Reise auf den Spuren des Almanci und seiner cineastischen Wahrnehmung gestern und heute.

Vorstellung:
Mi, 07.09., 18.00 Uhr, Ballhaus Naunynstraße

Gölge – Zukunft der Liebe

BRD 1980, 97 min, OmU
Regie: Sema Poyraz, Sofoklis Adamidis
Mit: Semra Uysal, Birgül Topçugürler, Yüksel Topçugürler, Fatos Alkan

Das Kammerspiel beschreibt die erwachende Sexualität der Schülerin Gölge, Tochter türkischer Einwanderer. Sie versucht, im Berlin-Kreuzberg der 1970er/1980er Jahre zwischen migrantischer und deutscher Lebenswelt einen eigenen Platz zu finden.

 

 

Anschließend Gespräch mit der Regisseurin Sema Poyraz, der Schauspielerin Semra Uysal, Hüseyin und Serpil İslek u.a.

Vorstellung:
Di, 06.09., 18.00 Uhr, Eiszeit-Kino –
TICKET KAUFEN folgt in Kürze…

Gül Hasan / Hasan the Rose

SW/TR 1979, 82 min, OmU
Regie: Tuncel Kurtiz
Mit: Tuncel Kurtiz, Müjdat Gezen, Yaman Okay, Nuri Sezer, Sema Poyraz

Die Geschichte einer Gruppe von Gaunern, die in Schweden von türkischen Gastarbeitern Geld einsammeln, mit dem Versprechen einen Film zu drehen. Doch der Betrug fliegt auf, bevor die Bande mit dem Geld abhauen kann. Sie werden von geprellten Arbeitern gezwungen, tatsächlich einen Film zu drehen, in dem die Betrogenen die Hauptrolle spielen.

Nuri Sezer, der in Pauschalreise – Die erste Generation auf der Bühne steht, und sein langjähriger Freund und Kollege Tuncel Kurtiz gingen in den 1970er Jahren nach Stockholm, um dort Filme zu produzieren. Ihre Erfahrungen mit dem Schwedischen Filminstitut waren nicht unbedingt immer positiv. Am Ende musste Nuri Sezer seine Filme über ungewöhnliche Wege selber finanzieren. Die groteskte Komödie Gül Hasan basiert auf den Erfahrungen der beiden Filmnarren in Stockholm. Im Rahmen der Filmreihe Gegen die Leinwände kann man außerdem Tuncel Kurtiz’ legendären Dokumentarfilm E5 – Die Todesstrecke sehen, den er mit schwedischen Fördergeldern drehte. In Gül Hasan ist auch die Schauspielerin Sema Poyraz mit einer kleinen Rolle zu sehen, die zusammen mit Nuri Sezer im letzten Teil der Generationstrilogie von Lukas Langhoff Pauschalreise – Die erste Generation ebenfalls auf der Bühne steht.

Anschließend Gespräch mit dem Schauspieler Nuri Sezer und der Schauspielerin Sema Poyraz.

Vorstellung:
Mo, 05.09., 18.00 Uhr,  Eiszeit Kino – TICKET KAUFEN

Kazım Akkaya und die Bewohner der Naunynstraße

D 1975, 58 Min
Regie: Friedrich Zimmermann
Mit: Aras Ören, Tuncel Kurtiz, Krikor Melikyan, Güner Yüreklik u.a.

1974: Frau Kutzer ist gestorben.Das Erbe der Frau Kutzer sind geschwollene Füße, krummknochige Finger und tiefmüde Augen, ein ausgepresster Körper, eine ausgepresster Seele und ausgepresster Träume. Wen berührt ihr Tod? In der Naunynstraße 69 ist eine Wohnung frei geworden, zwei Zimmer, 77 Mark. Es ist nicht leicht eine Wohnung zu finden im Sanierungsgebiet Kreuzberg. Die Abrissbirne macht sich an vielen Häusern zu schaffen. Halime lebt seit fünf Jahren in der Naunynstraße, ohne ihren Mann Cemal, der in der Türkei im Gefängnis sitzt wegen Blutrache. Auf einmal steht Cemal vor der Tür, da ist sie schon schwanger – nicht von ihm. Kazim war kurzem noch der Liebling des Meisters, weil er so unermüdlich arbeitete auf der Baustelle. Jetzt ist er entlassen worden. Er riecht nach Weinbrand, obwohl er sonst nie trinkt. Ihm wird klar, dass er wie eine Kuh gemolken wurde.

Was wir heute machen und erdulden, es wird einmal auch in den Gedichten zu lesen sein. Die Leute kommen an die Macht und gehen. Die Qualen aber, die sie uns zufügen, schmerzen weiter in unserem Fleisch.

Anschließend Gespräch mit dem Regisseur Friedrich Zimmermann und den Schauspielern Clas Theo Gärtner, Renate Koehler, Krikor Melikyan, Güner Yüreklik.

Vorstellung:
So, 04.09., 16.00 Uhr Eiszeit Kino – TICKET KAUFEN

Frau Kutzer und andere Bewohner der Naunynstraße

D 1973, 51 Min.
Regie: Friedrich Zimmermann
Mit: Aras Ören, Tuncel Kurtiz, Krikor Melikyan, Güner Yüreklik, Claus Theo Gärtner

Als Franz Naunyn Bürgermeister war in Berlin, war die Naunynstraße nicht die Naunynstraße aber es war eben eine Straße. Im Winter fuhren die Pferdewagen im Matsch versinkend hindurch, zwischen sauren Kohlgerüchen, und wenn du den Kopf hobst, war der Himmel auch schon damals ins Wasser gefallen. Ein Rahmen ohne Bild.

Frau Kutzer, deren Familie aus Ostpreußen zu Franz Naunyns Zeiten nach Berlin zog, lebt heute alleine als Rentnerin in Ihrer Wohnung. Sie wünscht sich genug Macht, um die Welt zu verändern. In die Wohnung über ihr, ist Niyazi Gümüşkılıç eingezogen, der findet, dass jeder das Recht habe, wie die Reichen im Stadtteil Bebek in Istanbul zu leben, und der nie wieder auf sein Recht verzichten mag, koste es ihm sein Leben. Da ist Sabri, der gerne einen Laden eröffnen will, um selbstständig und selbstbestimmt zu arbeiten. Doch er ist an der Tuberkulose erkrankt, wie so viele ausländische Arbeiter wegen der schlechten Ernährung und der schlechten Wohnungssituation und dem ganzen Stress durch das schwere Arbeiten. Wie schlägt sich Halime, die bei Telefunken arbeitet, durchs Leben, während ihr Mann im Gefängnis sitzt? Kazım Akkaya, der Bauarbeiter und Liebling des Chefs, der fleißigste Arbeiter am Bau… Für den Mann aus Inegöl zählt nur das, was in seiner Tasche landet. Ali ist fleißig, und will viel Geld verdienen. Sein Chef weiß, dass Ali nicht weiß, welche Arbeitsrechte er besitzt, und nützt das aus, indem er Ali noch länger arbeiten lässt. Seine Kollegen, wie Klaus, der in Raten sein Auto, seine Musikanlage und seinen Farbfernseher abbezahlt, und jeden Sonntag bei den Eltern bei Kaffee und Kuchen eingeladen ist, nehmen Alis seinen Fleiß übel, anstatt ihn aufzuklären über seine Rechte.

Und die Naunynstraße ist wieder eine Straße, in der sich was rührt. Anders als vor 70 oder vor 80 Jahren. Unbeholfener als damals. Aber du kannst manchmal sehen, was du nicht erwartest. Arbeiter, Naunynstraßenbewohner zusammen beim Bier, beim politischen Streit, unter einer Fahne Kopf an Kopf. Und wenn türkische oder griechische Bewohner der Naunynstraße merken, dass man ihm sein Recht nimmt, greift er zu Bleistift und Papier und packt aus bei der Zuständigen Stelle, was in ihm rumort. „Herr Fabrikakollege. Ausländer schlecht Du sagen, warum? Ausländer sagen, Deutsche schlecht, warum? Ich Mensch, du Mensch. Du Arbeiter, ich Arbeiter. Wir machen zusammen Geld für die Fabrikadirektör.“

Anschließend Gespräch dem Regisseur Friedrich Zimmermann, der Redakteurin Annette Dietrich und den Schauspielern Claus Theo Gärtner, Renate Koehler, Krikor Melikyan, Güner Yüreklik.

Vorstellung:
So, 04.09., 14.00 Uhr Eiszeit Kino – TICKET KAUFEN

E5 – Die Todesstrecke

S/TR 1978, 60 min, OmU
Regie: Tuncel Kurtiz
Mit einer Einführung von Tunçay Kulaoğlu. 

Tuncel Kurtiz, der international wohl bekannteste Schauspieler aus der Türkei, machte sich 1978 von Berlin aus selbst auf den Weg in die Türkei, um auf der über 2000 Kilometer langen europäischen Straße „E 5“ Bilder zu sammeln, die inzwischen längst zu einer Legende geworden sind.

 

Anschließend Gespräch mit dem Schauspieler Nuri Sezer

Vorstellung:
Sa, 03.09., 18.00, Eiszeit TICKET KAUFEN